Warum leiden immer mehr Frauen an Alopezie? Die wissenschaftliche Erklärung
Alopezie bei Frauen ist ein weit verbreitetes Problem, das viel häufiger vorkommt, als viele vermuten. Fast jede dritte Frau hat im Lauf ihres Lebens mit Haarausfall zu kämpfen. Besonders überraschend: Die androgenetische Alopezie, also der erbliche Haarausfall, betrifft etwa 40% aller Frauen und ist damit die häufigste Ursache für Haarausfall, auch wenn wir dieses Problem oft nur mit Männern in Verbindung bringen.
Während in der Schweiz und im übrigen Europa etwa jeder zweite Mann bis zum 60. Lebensjahr von hormonell bedingtem Haarausfall betroffen ist, erlebt nur etwa jede fünfte Frau diese Form des Haarausfalls. Dennoch ist die psychische Belastung für betroffene Frauen oft enorm. Tatsächlich sind sowohl bei Männern als auch bei Frauen etwa 95% aller Fälle von Haarausfall durch androgenetische Alopezie verursacht. In diesem Artikel gehen wir den Ursachen auf den Grund, warum starker Haarausfall bei Frauen zunimmt, wie er sich von männlichem Haarausfall unterscheidet und welche wissenschaftlich fundierten Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Was ist Alopezie und wie äussert sie sich bei Frauen?
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"Die häufigste Form ist der erblich bedingte Haarausfall, auch androgenetische Alopezie genannt." — Dr. med. Anja Thiel, Fachärztin für Dermatologie, Spezialistin für Haarausfall
Der Begriff **Alopezie** bezeichnet einen erworbenen Zustand sichtbarer Haarverminderung an Stellen, die normalerweise behaart sind. Umgangssprachlich bekannt als Haarausfall, umfasst sie verschiedene Formen von Haarverlust – von leichter Ausdünnung bis hin zu vollständiger Kahlheit.
Definition von Alopezie
Medizinisch betrachtet unterscheiden wir verschiedene Formen der Alopezie: diffuse Alopezien, hormonell bedingter Haarausfall, herdförmig nicht vernarbende sowie vernarbende Alopezien. Bei Frauen tritt besonders häufig die androgenetische Alopezie auf, die im Gegensatz zur männlichen Variante als pathologisch zu werten ist. Wissenschaftler bezeichnen übermäßigen Haarverlust von mehr als 100 Haaren täglich als "Effluvium", was nicht zwangsläufig zu sichtbarer Kahlheit führen muss.
Unterschied zwischen normalem Haarausfall und Alopezie
Ein täglicher Haarverlust von bis zu 80 Haaren gehört zum normalen Haarzyklus und ist kein Grund zur Sorge. Erst wenn über einen längeren Zeitraum deutlich mehr Haare ausfallen oder sich kahle beziehungsweise lichte Stellen bilden, handelt es sich um eine Alopezie.
Der normale Haarzyklus besteht aus mehreren Phasen:
- Die Anagenphase (Wachstumsphase) kann beim Kopfhaar drei bis acht Jahre dauern
- Die Katagenphase dauert etwa 2 Wochen
- Die Telogenphase (Ruhephase) nimmt circa 2 Monate ein
Insgesamt befinden sich zwischen 90.000 und 150.000 Haare am Kopf – je nach Haarfarbe. Dauert der verstärkte Haarausfall jedoch an, wird stärker oder geht mit Symptomen wie Juckreiz oder Schmerzen einher, sollten Betroffene zeitnah handeln.
Typische Symptome bei Frauen
Haarausfall bei Frauen unterscheidet sich deutlich von jenem bei Männern – vor allem im Erscheinungsbild. Während Männer häufig Geheimratsecken oder eine Stirnglatze entwickeln, zeigt sich die Alopezie bei Frauen zumeist als diffuser Haarverlust. Das bedeutet: Das Haar wird über den gesamten Kopf lichter, der Haaransatz bleibt jedoch erhalten.
Bei der androgenetischen Alopezie der Frau kommt es typischerweise zur diffusen Ausdünnung der Haare, beginnend zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Besonders charakteristisch ist der breiter werdende Mittelscheitel. Nach der Ludwig-Klassifikation unterscheidet man verschiedene Stadien – von leichter Haarlichtung (Stadium I) bis zur Glatzenbildung im frontoparietalen Bereich (Stadium III), wobei der frontale Haarsaum stets bestehen bleibt.
Der Fortlauf von verstärktem Haarausfall zu ersten lichten Stellen entwickelt sich oft schleichend. Daher bemerken viele Frauen das Problem erst spät – je früher jedoch eine Behandlung beginnt, desto besser sind die Aussichten.
Die häufigsten Ursachen für Alopezie bei Frauen
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"Tatsächlich ist etwa ein Drittel aller Frauen von Haarausfall in den Wechseljahren betroffen, während andere unter Eisenmangel leiden – der weltweit häufigsten Form der Unterversorgung mit Nährstoffen und einer der häufigsten Ursachen für Haarausfall bei Frauen." — Dr. med. Anja Thiel, Fachärztin für Dermatologie, Spezialistin für Haarausfall
Die häufigsten Ursachen für Alopezie bei Frauen
Haarausfall bei Frauen wird durch verschiedene Faktoren ausgelöst, die zusammen oder einzeln wirken können. Ein Verständnis dieser Ursachen ist entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung.
Genetische Veranlagung (androgenetische Alopezie Frau)
Die androgenetische Alopezie ist mit etwa 95% die häufigste Form des Haarausfalls bei Frauen. Bei dieser Erkrankung reagieren die Haarfollikel überempfindlich auf Dihydrotestosteron (DHT), einen Abkömmling des männlichen Hormons Testosteron. Etwa 25-30% der Frauen sind davon betroffen. Interessanterweise haben viele dieser Frauen an bestimmten Körperstellen wie Unterschenkeln, Zehen und im Gesicht eine stärkere Behaarung.
Hormonelle Schwankungen (z. B. Menopause, Pille)
Nach der Menopause steigt die Häufigkeit der Alopezie bei Frauen deutlich an. Der sinkende Östrogenspiegel führt dazu, dass die männlichen Hormone (Androgene) stärker in den Vordergrund rücken. Darüber hinaus kann sowohl die Einnahme als auch das Absetzen der Antibabypille zu hormonell bedingtem Haarausfall führen. Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS), von dem bis zu 10% der Frauen im gebärfähigen Alter betroffen sind, stellt ebenfalls eine häufige Ursache dar.
Autoimmunerkrankungen wie Alopecia areata
Die Alopecia areata ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die Haarfollikel angreift. Etwa 0,2% der Weltbevölkerung leiden darunter, mit einem Lebenszeitrisiko von 1,7%. Charakteristisch sind kreisrunde kahle Stellen, die plötzlich auftreten können. Diese Form des Haarausfalls wird häufig bei Patienten mit anderen Autoimmunerkrankungen wie Lupus, Vitiligo oder Psoriasis beobachtet.
Stress und psychische Belastung
Bei Stress werden vermehrt Hormone wie Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet. Diese können am Haarfollikel Entzündungsprozesse auslösen. Zudem hemmt das Stresshormon Cortisol das Haarwachstum. Die gute Nachricht: Nach Behebung der Stressursache wächst das Haar meist wieder nach – oft sogar kräftiger als zuvor.
Mangelernährung und Diäten
Eisenmangel gilt als eine der häufigsten Ursachen für Haarausfall bei Frauen. Ferritin-Werte unter 40 ng/ml führen nachweislich zu einem telogenen Effluvium. Auch strengere Diäten unter 1000 kcal täglich können zu Haarausfall führen. In einem dokumentierten Fall trat Monate nach Beginn einer strengen 300-kcal-Diät ein telogenes Effluvium auf.
Medikamente und Umweltfaktoren
Bei über 400 Medikamenten wurde Haarausfall als Nebenwirkung festgestellt. Besonders häufig verursachen Chemotherapeutika, Antidepressiva, Blutverdünner und bestimmte Antibiotika Haarverlust. Meist tritt der medikamentös bedingte Haarausfall erst nach einigen Monaten ein und ist nach Absetzen der Medikamente reversibel. Zusätzlich können Umweltgifte wie Schwermetalle akute Alopezien auslösen.
Wie wird Alopezie diagnostiziert?
Die korrekte Diagnose bei Haarverlust erfordert mehrere Untersuchungsschritte. Eine gründliche Abklärung hilft, die genaue Ursache der Alopezie zu identifizieren.
Anamnese und körperliche Untersuchung
Der diagnostische Prozess beginnt mit einer detaillierten Krankengeschichte. Ärzte erfragen den Beginn und die Dauer des Haarausfalls, ob dieser generalisiert oder lokalisiert auftritt sowie begleitende Symptome wie Juckreiz oder Schuppenbildung. Wichtig sind zudem Informationen zu Haarpflegepraktiken, Medikamenteneinnahme, kürzlichen Stressoren und möglichen Grunderkrankungen. Bei Frauen ist eine hormonelle und gynäkologische Anamnese besonders wichtig. Während der körperlichen Untersuchung wird die Verteilung des Haarausfalls, das Vorhandensein von Hautläsionen und möglichen Narben beurteilt.
Trichogramm und Trichoskopie
Die Trichoskopie (auflichtmikroskopische Untersuchung) ermöglicht eine schmerzlose, nicht-invasive Diagnostik. Mittels eines Dermatoskops werden Haarschäfte, Follikelöffnungen und die Kopfhaut vergrössert dargestellt. Diese Methode hat das aufwendigere Trichogramm weitgehend verdrängt, bei dem 50-70 Haare entnommen und mikroskopisch untersucht werden. Moderne Videodermatoskopie erlaubt zudem Dokumentation und Verlaufskontrollen unter Therapie.
Blutuntersuchungen auf Hormon- und Nährstoffmängel
Bei Frauen mit signifikantem Haarausfall sind Blutuntersuchungen oft unerlässlich. Besonders bei Anzeichen von Virilisierung (Hirsutismus, Akne) werden Hormonspiegel wie Testosteron und DHEAS bestimmt. Weitere wichtige Parameter sind Eisen (Ferritin), Vitamin D, Schilddrüsenwerte, Zink und bei Verdacht auf Autoimmunerkrankungen entsprechende Antikörper.
Hautbiopsie bei Verdacht auf vernarbende Alopezie
Eine Kopfhautbiopsie wird durchgeführt, wenn die Diagnose unklar bleibt oder Verdacht auf eine vernarbende Alopezie besteht. Die bevorzugte Methode ist eine 4-mm-Stanzbiopsie mit horizontalem Schnitt. Bei vernarbender Alopezie werden Proben aus Bereichen mit aktiver Entzündung entnommen, typischerweise am Rand einer kahlen Stelle. Die histopathologische Untersuchung zeigt charakteristische Veränderungen wie lymphozytäre Entzündungen und Follikelzerstörung.
Welche Therapien sind wissenschaftlich belegt?
Bei der Behandlung von Alopezie stehen wissenschaftlich fundierte Therapien zur Verfügung, die den Haarverlust stoppen oder verlangsamen können.
Minoxidil: Wirkung und Anwendung
Minoxidil gilt als am besten wirksames lokales Mittel gegen androgenetische Alopezie bei Frauen. Die zweiprozentige Lösung (Regaine® Frauen) verbessert nachweislich die Mikrozirkulation an der Haarwurzel. Bei zweimal täglicher Anwendung wird der Fortschritt des Haarausfalls bei etwa 80-90% der Betroffenen gestoppt, während ungefähr 50% eine sichtbare Zunahme der Haardichte erleben. Wichtig zu wissen: Nach vier bis acht Wochen kann ein verstärktes Haarausfallphänomen (Shedding) auftreten – dies deutet paradoxerweise auf ein gutes Ansprechen hin.
Antiandrogene und hormonelle Behandlungen
Für Frauen mit hormoneller Dysregulation eignen sich Antiandrogene wie Cyproteronazetat oder Spironolakton. Diese blockieren den Androgenrezeptor und hemmen teilweise das Enzym 5α-Reduktase. In Deutschland sind für Haarausfall bei Frauen antiandrogene Kontrazeptiva wie Diane-35® zugelassen. Die Behandlung muss über mindestens sechs Monate erfolgen, da die Androgenproduktion nach kurzen Pausen schnell wieder einsetzt.
PRP (plättchenreiches Plasma)
Bei der PRP-Therapie werden körpereigene Blutplättchen konzentriert und in die Kopfhaut injiziert. Erste Verbesserungen zeigen sich nach etwa 2-3 Monaten, deutlichere Ergebnisse nach 4-6 Monaten. Für optimale Resultate sind mehrere Sitzungen im Abstand von 1-4 Monaten erforderlich. Die Behandlung ist nahezu nebenwirkungsfrei, jedoch selbst zu zahlen.
Haartransplantation: Wann sinnvoll?
Eine Haartransplantation kommt infrage, wenn andere Therapien versagen oder der Haarverlust bereits fortgeschritten ist. Dabei werden gesunde Haarfollikel vom Hinterkopf in kahle Bereiche verpflanzt. Moderne Techniken wie die FUE-Methode (Follicular Unit Extraction) sind minimalinvasiv und hinterlassen kaum sichtbare Narben. Bei Frauen mit diffusem Haarverlust ist dieser Eingriff jedoch weniger erfolgversprechend als bei Männern.
Grenzen von frei verkäuflichen Mitteln
Freiverkäufliche Produkte wie Koffein-Shampoos, Haarwässer mit Alfatradiol oder Nahrungsergänzungsmittel versprechen zwar Hilfe bei Haarausfall, ihre Wirksamkeit ist jedoch wissenschaftlich nicht ausreichend belegt. Laut Stiftung Warentest ist ohne Einschränkung kein freiverkäufliches Präparat zu empfehlen – am ehesten helfen noch Produkte mit Minoxidil. Besondere Vorsicht gilt bei Nahrungsergänzungsmitteln: Überdosierungen bestimmter Vitamine können sogar kontraproduktiv wirken.
Fazit
Alopezie bei Frauen stellt zweifellos ein komplexes medizinisches Problem dar, das weit verbreiteter ist als allgemein angenommen. Tatsächlich leiden fast 40% aller Frauen im Laufe ihres Lebens an androgenetischer Alopezie, wobei sich das Erscheinungsbild deutlich vom männlichen Haarausfall unterscheidet. Statt Geheimratsecken zeigt sich bei Frauen typischerweise eine diffuse Ausdünnung mit breiter werdendem Mittelscheitel.
Die Ursachen für weiblichen Haarausfall sind vielfältig. Genetische Veranlagung spielt ebenso eine Rolle wie hormonelle Veränderungen während der Wechseljahre oder nach Absetzen der Pille. Darüber hinaus können Autoimmunerkrankungen, chronischer Stress, Nährstoffmängel und bestimmte Medikamente den Haarverlust auslösen oder verstärken.
Betroffene Frauen sollten unbedingt ärztlichen Rat einholen, da eine frühzeitige Diagnose die Behandlungschancen erheblich verbessert. Durch gezielte Untersuchungen wie Trichoskopie und Bluttests können die genauen Ursachen ermittelt werden.
Die gute Nachricht: Es gibt wissenschaftlich belegte Therapieoptionen. Minoxidil zeigt bei 80-90% der Patientinnen eine Verlangsamung des Haarausfalls, während antiandrogene Behandlungen bei hormonell bedingtem Haarverlust wirksam sein können. Neuere Verfahren wie PRP-Therapie bieten zusätzliche Möglichkeiten, wobei die Haartransplantation als letzte Option für geeignete Kandidatinnen bereitsteht.
Allerdings ist Vorsicht bei freiverkäuflichen Mitteln geboten. Trotz verlockender Versprechen fehlen für viele Produkte wissenschaftliche Belege ihrer Wirksamkeit. Daher empfiehlt sich ein ganzheitlicher Ansatz: fachärztliche Betreuung, evidenzbasierte Behandlungen und gegebenenfalls Anpassungen des Lebensstils hinsichtlich Ernährung und Stressbewältigung.
Obwohl Haarausfall bei Frauen nach wie vor ein teilweise tabuisiertes Thema darstellt, leiden Betroffene keineswegs allein. Das wachsende Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen und die stetige Weiterentwicklung der Behandlungsmöglichkeiten geben Grund zur Hoffnung. Je früher die Therapie beginnt, desto besser stehen die Chancen, den Haarverlust aufzuhalten und neues Haarwachstum anzuregen.